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Goldfische im Winterschlaf

Oft genug stolpern wir über die Aussage, dass die Teichtiefe eben doch ausschlaggebend für das Wohlergehen unserer geliebten Teichbewohner ist. Wo die Wirbellose sich im Schlamm vergraben und dort geradezu bewegungslos bis zum nächsten Frühjahr ausharren, haben Goldfische und Koi eine ganz andere Strategie entwickelt.

Kaum wird es kühler, verändern auch Goldfische und Koi ihr Verhalten aber auch ihren Stoffwechsel. Sie nehmen wesentlich weniger Nahrung zu sich und fahren ihre Stoffwechselprozesse immer weiter herunter. Mit dem ersten Frost verharren sie nahezu reglos in einer Art Dämmerzustand am Teichgrund, denn hier hat der Teich in der Kälte die größte Dichte mit 4 °C. Vor allem Karauschen und Goldfische sind wahre Überlebenskünstler im Teich, vor allem im Winter.


Die zu den Karpfenartigen zählenden Flossenträger wurden jahrzehntelang als Vorfahren der Goldfische, Carassius auratus, behandelt, was zwischenzeitlich aber durch morphologische Vergleiche negiert wurde. In freier Wildbahn stellen die ersteren aber durchaus schmackhafte Speisefische und beide im Gartenteich genügsame und äußerst robuste Haustiere dar.
Bislang bekannt war ihre Fähigkeit, beinahe eine Woche lang die Luft anhalten zu können und auch in stark eutrophierten Gewässern wie beispielsweise vernachlässigten Teichen zurecht zu kommen. Wissenschaftler der Universitäten in Oslo und Liverpool sind diesem Kuriosum mittlerweile auf die Schuppen gerückt und haben dabei eine interessante Entdeckung gemacht: möglich ist den Fischen das Überwintern in selbst zugefrorenen Teichen mithilfe von Alkohol!

So ziemlich alle Vorgänge im Wirbeltierkörper sind auf einen funktionierenden Energie-Stoffwechsel angewiesen. Allen voran steht dabei die Fähigkeit der ATP Regulation: der Abbau von Glukose, Wasser und Sauerstoff bei der Zellatmung in den Mitochondrien in Wasser und CO2 führt zu Adenosintriphosphat. Dieses wird wiederum mithilfe von mitochondrialen Enzymen weiter aufgespalten zu ADP (Adenosindiphosphat) und einem freien Phosphat und bei Bedarf wieder in ATP verwandelt. Damit dieser Kreislauf reibungslos funktioniert, ist der Körper daher auf eine stete Versorgung mit Makronährstoffen, also Kohlenhydraten,  Lipiden und Proteinen angewiesen. Auf Vorrat kann ATP nur sehr begrenzt in den ATP-Molekülen gespeichert werden.

C. carassius und C. auratus jedoch haben ihr ganz eigenes System entwickelt und verfügen über eine Protein-Mutation, die außerhalb der Mitochondrien zum Einsatz kommt: damit sind sie in der Lage, selbst härteste Anoxietoleranzen, (Anoxie: Sauerstoffmangel im Gewebe), aufzufahren und fast 5 Monate ohne Sauerstoff auszukommen. In dieser Zeit entleeren sie den im Sommer angefressenen Glykogenspeicher in der Leber fast vollständig. Auch biochemisch betrachtet passiert dabei einiges im Fisch: der Sauerstoffmangel führt zwangsläufig zu einer Übersäuerung (Laktatazidose)  in der Skelettmuskulatur. Zum besseren Vergleich: Beim Menschen wird Milchsäure übrigens bislang als Hauptursache für Muskelkater angenommen und macht sich besonders dann bemerkbar, wenn das Training kräftig am anaeroben Level kratzt .
Der Fähigkeit dieser Fische, die anaerob produzierte Milchsäure in Ethanol umwandeln zu können und diesen über die Kiemen ins Wasser „abzuatmen“, ist es zuzuschreiben, dass diese selbst im eisbedeckten Gartenteich überleben können und sich nicht praktisch selbst dabei vergiften.


Die an Karausche und Goldfisch gewonnenen Erkenntnisse der extremen Anoxietoleranz durch Neofunktionalisierung duplizierter Gene, begeistert die Wissenschaft, deren Bedeutung auch für die Humanmedizin weiterhin erforscht wird.

Laut Evolutionsphysiologe Dr. M. Berenbrink von der Universität Liverpool konzentriert sich der Blutalkohol in den Fischen während der Winterruhe auf nahezu 0,5 Promille. Natürlich stellt sich bei solch einem Phänomen die Frage, anstelle des heißgeliebten Glühweines auf dem Weihnachtsmarkt direkt aufs Teichwasser zurück zu greifen oder die leise Hoffnung zu hegen, dass sich dieses im Laufe des Winters vom Teichwasser in Glühwein verwandelt. Wenngleich Fische im Straßenverkehr eher seltene Teilnehmer sind, wäre zumindest in Deutschland der Lappen erst einmal weg. Aber mit deren Pegel ließe sich immerhin genüßlich von einem Glühweinstand zum nächsten pendeln.
Und über Goldfische palavern.


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