Gänsesäger in Nachbars Teich
Ein ungewöhnliches Naturerlebnis
Meine Nachbarn haben einen Folienteich, den der Vorbesitzer des Grundstücks angelegt hat und an dem man noch einiges verbessern könnte. Die Ufer sind zu steil geraten, man sieht an manchen Stellen die nackte Folie und wir haben schon einige Male darüber diskutiert, wie man diese Bereiche abflachen und begrünen könnte. Ich will damit nur andeuten, dass der Teich im Grunde genommen noch nicht richtig fertig und keinesfalls ein geeignetes Gewässer für eine seltene und menschenscheue Tierart wie den Gänsesäger ist. Wie gesagt, es bestehen schon Pläne für eine neue Teichgestaltung. Aber leider haben meine Nachbarn wenig Zeit. Der Oder-Neiße-Radweg führt direkt an ihrem Haus vorbei und sie haben gerade ihr geräumiges Gartenhaus als Imbiss für Radtouristen eingerichtet. Neben dem Gartenhaus steht ein großer alter Nussbaum und unter ihm Stühle und Tische für die Gäste. Von dort aus blickt man auf die historische Dorfkirche und den Gartenteich, und bis zum Teich sind es nur wenige Schritte. Im Teich quaken ein paar Frösche und irgendwann im Sommer taucht regelmäßig ein Stockentenpaar auf und lässt sich darin nieder.
Die neue „Ente"
An einem Nachmittag Anfang dieses Sommers saß ich mit ein paar Bekannten in unserem Garten, als der Sohn meiner Nachbarn erschien. Da er mein Naturinteresse kennt, berichtete er ziemlich aufgeregt, dass eine neue Ente mit zirka zehn Küken in ihrem Gartenteich herumschwimmen. Ich möchte doch bitte mal kommen und meinen Fotoapparat mitbringen. Ich war nicht allzu sehr beeindruckt, ließ es mir aber nicht anmerken und versprach, bald zu kommen. Nach meinem Dafürhalten konnte es sich ja nur um eine Stockentenmutter mit ihrem Kükengefolge handeln. Jede andere Vogelart würde es vermutlich als unzumutbar empfinden, vor den Augen neugieriger Menschen in einem Gartenteich herum zu schwimmen. Als unsere Bekannten gegangen waren, nahm ich meinen Fotoapparat und wollte mir die Stockentenfamilie im Teich meiner Nachbarn anschauen. Es war inzwischen spät am Nachmittag. Die Sonne stand schon tief am Himmel und der Gartenteich lag zum größten Teil im Schatten großer Eichen. Für ein gutes Foto war es fast zu dunkel und ich bedauerte, dass ich so spät gekommen war.
Die Überraschung
Ich staunte nämlich nicht schlecht, denn statt der erwarteten Stockenten sah ich eine Gänsesägermutter mit zehn Küken im Gartenteich. Offensichtlich waren die Vögel ziemlich aufgeregt und wirkten orientierungslos. Die Gänsesägermutter schwamm mit den Jungen im Gefolge kreuz und quer durch den Teich. Manchmal lockte sie die Küken ans Ufer und die Vogelfamilie schien sich entfernen zu wollen. Aber die Sägermutter sah offenbar keinen geeigneten Weg, denn gleich darauf schwamm sie wieder im Teich und die Jungen folgten ihr in kurzem Abstand. Etwa alle zehn Minuten flog die Vogelmutter auf und landete kurz darauf wieder im Gartenteich. Obwohl es im Teich von Goldfischen nur so wimmelte, schien sie sich nicht dafür zu interessieren. Sie tauchte zwar hin und wieder, kam aber jedes Mal ohne Fischbeute wieder an die Wasseroberfläche. Um die Vögel nicht noch weiter zu beunruhigen, machte ich mit einem Teleobjektiv ein paar Aufnahmen aus größerer Entfernung. Meine Nachbarin erzählte mir inzwischen, dass die Gänsesägerfamilie schon am frühen Nachmittag auf ihrem Grundstück (das nicht eingezäunt ist) aufgetaucht sei. Fünf oder sechs Küken seien zunächst ziemlich orientierungslos über das angrenzende Feld gelaufen. Dann wäre das erste Küken auf dem Grundstück erschienen und sei an den Gästen vorbei zum Gartenteich geeilt. Die anderen Jungen folgten seinem Beispiel und schließlich auch die Vogelmutter mit den restlichen Küken. Als es langsam zu dämmern begann, hielt es die Gänsesägermutter offenbar nicht mehr länger im Gartenteich aus. Sie lockte ihre Küken erneut ans Ufer und nun marschierte die Vogelfamilie zielstrebig über den Hof, nahm Kurs auf ein brachliegendes Feld und tauchte in einigen Brennnesselstauden unter.
Eine Rarität
Ich habe noch nie davon gehört, dass sich Gänsesäger als Gäste, geschweige dann als Dauersiedler in einem Gartenteich aufgehalten hätten und vermutlich hatte sich die Vogelmutter diesen Tag auch ganz anders vorgestellt. Gänsesäger sind hier, in Niederschlesien, nur selten anzutreffen. Die einzigen Gewässer, in denen man sie vereinzelt sieht, sind die Neiße und ihr Parallelfluss, der Bober, im benachbarten Polen. Die Neiße windet sich hier durch Wiesen am Dorf vorbei und ich nehme an, dass die Küken an diesem Tag erstmals ihre Nisthöhle verlassen hatten. Denn Gänsesäger brüten nicht direkt am Wasser, obwohl sie darauf leben. Die Mutter wollte sie vermutlich zum Fluss führen. Doch es kam zu einer unfreiwilligen Kursabweichung. Da es an diesem Frühsommertag sehr heiß war, wurde der Weg zur Neiße für die Jungen lang und beschwerlich. Noch völlig unerfahren zog es sie dann unwiderstehlich zum erstbesten Gewässer, das auf ihrem Weg lag. Der Gänsesägermutter wird es nicht mehr gelungen sein, diesen Streifzug auf eigene Faust zu verhindern, und um ihre Küken zusammenzuhalten, landete sie notgedrungen mit ihnen im Gartenteich.
Gänsesäger, Mergus merganser
Gänsesäger gehören zu den Entenvögeln, übertreffen aber mit ihrer Größe alle Tauch-und Schwimmenten. Die Männchen haben ein glänzend dunkelgrünes Gefieder an Kopf und Hals. Die Federn an ihrer Unterseite sind lachsfarben. Die Weibchen sind etwas kleiner und man erkennt sie an ihrem grauen Federkleid und dem kastanienbraunen Gefieder um die Kopfpartie. Gänsesäger verdanken ihren Namen dem schlanken Schnabel, der an den Rändern mit sägeblattartigen Hornzähnchen bestückt ist. Damit können sie kleine Fische mühelos packen, ihre Hauptnahrung. Sie sind geschickte Unterwasserschwimmer und können länger als eine Minute tauchen. An Land wirken sie eher unbeholfen. Gänsesäger gehören zu den geschützten Vogelarten. Sie brüten in Mitteleuropa nur selten und sind inselartig im Nordosten zwischen Schleswig-Holstein und der Pommerschen und Masurischen Seenplatte verbreitet. Weitere kleinere Bestände findet man in Südbayern und in der Schweiz. Gänsesäger gehören zu den wenigen Entenvögeln, die in Baumhöhlen nisten. Bevorzugt werden alte Bäume in Gewässernähe. Das Weibchen kleidet den Höhlenboden mit morschem Holz, Blättern und Federn aus, legt ab April acht bis zwölf Eier und brütet sie allein in etwa fünf Wochen aus. Nach wenigen Tagen springen dann die Jungen aus der Bruthöhle und werden von ihrer Mutter ans Wasser geführt.